Rede der Vorsitzenden der Synagogengemeinde Bonn, Frau Dr. Margaret Traub,
75. Jahrestag der so genannten Reichspogromnacht 2013, Synagogenmahnmal

 

Dr. Margaret Traub brachte in ihrer Rede den Ernst der aktuellen Situation authentisch rüber

Dr. Margaret Traub brachte in ihrer Rede den Ernst der aktuellen Situation authentisch rüber

vor 75 Jahren wurden Synagogen angezündet, Geschäfte geplündert und in Brand gesteckt, Menschen geschlagen, vergewaltigt, ermordet. Dies geschah nicht irgendwo auf der Welt, nicht in irgend einem so genannten nicht zivilisierten Land, nein, es geschah im Herzen Europas, in einem Land, welches bis dahin zu einem der zivilisiertesten Länder zählte und dessen Regierung diese Errungenschaft mit dem Begriff des „Herrenmenschen“ besonders hervorzuheben sich anmaßte. Die Reichspogromnacht war weder Anfang noch Höhepunkt der Judenverfolgung in der Nazizeit. Sie war aber eine Explosion von Enthemmung, Pogrom pur, überall in Deutschland. Wo man nur hingeht und hinschaut, findet man erschütternde, tief schockierende Beispiele von dem, was damals deutsche Menschen ihren deutsch-jüdischen Mitmenschen antaten.
Der 9. November 1938 war eine Detonation von Sadismus, von Vandalismus, Mordlust und Menschenfeindlichkeit. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wurde Augenzeuge dieser Schandtaten. Es gibt – und gab – selbstverständlich nie eine Kollektivschuld, aber es gab massenweise individuelle Schuld unter den Deutschen jener Zeit.

Die wenigen Deutschen, die dieses Schauspiel opponierten, sahen meist mangels Zivilcourage tatenlos zu, blieben passiv, weitere sahen gleichgültig zu, als ginge sie alles nichts an. Und doch gab es einige wenige Versuche, jüdischen Menschen zu helfen. Denn obwohl jene Diktatur alle menschlichen Bereiche zu kontrollieren in der Lage war, gab es Widerstand, zwar mit unkalkulierbarem Risiko verbunden, aber es gab ihn. Umso mehr Respekt und Achtung gelten jenen etwa zehntausenden Aufrechten, die dieses Risiko nicht gescheut haben.
Diese schreckliche Nacht, diese Reichskristallnacht, war das offizielle Signal zum größten und schlimmsten Völkermord in der Geschichte der Menschheit. Die Erinnerungen an die Geschehnisse von damals werden spontan gegenwärtig, wenn wir die Bilder der letzten Monate sehen: Wenn Synagogen angegriffen oder jüdische Friedhöfe oder Stolpersteine geschändet werden. Können Sie sich vorstellen, welche Erinnerungen diese Verbrechen in uns Juden auslösen? Können Sie sich vorstellen, welche Erinnerungen der Aufruf von den Linken, den Grünen und den Rechten Parteien zum Boykott jüdischer Waren in uns Juden auslösen? In Irland werden die Produkte aus Israel sogar mit einem gelben Stern gekennzeichnet. Können Sie sich vorstellen, wie wir Juden uns fühlen, wenn Rabbiner auf der Straße physisch angegriffen und krankenhausreif geschlagen werden? Können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühle, wenn ich meine Söhne darum bitte, ihre Kopfbedeckung – ihre Kippa – auf der Straße nicht zu tragen, damit sie nicht angegriffen werden? Vor 75 Jahren wurden Juden hier, nur weil sie Juden waren, offen misshandelt und gepeinigt. Und nun werden wieder Juden, nur weil sie als Juden klar erkennbar sind, auf offener Straße geschlagen. Judenfeindschaft mag verschiedene Quellen haben. Aber sie bleibt immer und ohne Ausnahme absolut unentschuldbar. Das Wort „Jude“ auf deutschen Schulhöfen und deutschen Sportplätzen ist ein Schimpfwort geworden. Und das ist ein Skandal, der alle Menschen im Land eigentlich in Aufruhr versetzten sollte. Sind wir wieder so weit, dass man sein Judentum verstecken soll? Ist „Jude sein“ eine Provokation? Viele in Europa sagen → Israels Politik sei die Ursache für den Antisemitismus. Aber Antisemiten brauchen keine rationale Begründung für ihren Hass. Wenn sie nicht Israel als Grund anführen, dann nehmen sie etwas anderes. Und sie kidnappen den Holocaust, und das ist das Schlimmste. Das lässt sich in der arabischen Welt sehen. Erst hieß es: Es gab den Holocaust nicht. Anschließend: Die Juden waren selber schuld. Und heute: Die Juden tun anderen das Gleiche an. Was ist das für eine Perversion, wenn man Juden mit den Nazis vergleicht!
Wer die Sendung der ARD, „Antisemitismus in Deutschland“ gesehen hat, wird gemerkt haben, dass der Antisemitismus nicht am Rande der Gesellschaft stagniert. Antisemitismus ist tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Die gebildeten Antisemiten, die in der Mitte unserer Gesellschaft, leugnen, dass sie Antisemiten sind – oder sie merken es nicht einmal. Sie spielen die Moralprediger und benutzen die gleichen Klischees und Stereotypen wie die Nazis. Juden werden von → Grass und Augstein als Kriegstreiber beschimpft. Jeder vierte Bundesbürger hegt laut ARD-Umfrage Antipathie gegen Juden. 75 Jahre nach der Reichskristallnacht haben 25 % der Deutschen immer noch antisemitische Klischees: „Die Juden beherrschen die Welt der Finanzen“ und ihnen gehört alles. Sie haben zu viel Einfluss.

Es vergeht kaum ein Tag ohne antisemitische Vorfälle. Erst wird durch ein → Kölner Gerichtsurteil die rituelle Beschneidung infrage gestellt, dann steuert die polnische Regierung mit ihrem Verbot des Schächtens auch zu einer EU-weit angestrebten Regelung bei, die das Leben der Juden in Bezug auf ihre religiösen Gesetze diskriminierend erschwert. Ausblick am Novemberpogrom Gedenktag Reichspogromnacht 10.11.2013Letzte Woche wurden Stolpersteine in Berlin geschändet, das Holocaust-Mahnmal in Düsseldorf wurde mit Naziparolen und Hakenkreuzen beschmiert, bei einem Fußballspiel im September in Frankfurt schrien Offenbacher Fans „Judenschweine“….
Als die Nobelpreise verliehen wurden, wurde gemunkelt, die Nobel-Stiftung sei in die Hände der Juden gefallen, da so viele Auszeichnungen an jüdische Wissenschaftler verliehen wurden. Wenn diese Personen hören, dass es nur
13 Millionen Juden auf der Welt gibt, können sie es kaum glauben.
Die antisemitische Propaganda hat alle Schichten der Gesellschaft erreicht, und viele glauben wieder an eine „jüdische Verschwörung“. Ist die Welt wieder verrückt geworden ? Wir Juden machen uns Sorgen um unsere Zukunft in Europa. Trotzdem sehen wir positiv in die Zukunft. Allerdings wünschen wir uns hier ein Judentum, in dem es keinen Platz für Resignation, Frustration und Selbstaufgabe gibt. 75 Jahre nach der Reichskristallnacht, nach dem Holocaust, der 6 Millionen von uns das Leben gekostet hat, können wir sagen: „Wir sind da“, dennoch – und trotzdem. Und wir haben Unterstützer, die uns als gesellschaftlichen Bestandteil deutscher und europäischer Kultur betrachten, die wissen, dass wir eine kleine Minderheit Juden in Deutschland sind, die zeigen, wie ein gemeinschaftliches und friedliches Miteinander aussehen kann.

  • So gab es zum Beispiel ein Projekt der Universität Bonn, bei dem eine Gruppe von Studenten sich einmal jährlich liebevoll um Gräber auf unserem jüdischen Friedhof kümmert,
  • so gab es vor kurzem ein Projekt, bei dem Schüler dieses Mahnmal hier gründlich säuberten,
  • es gilt auch hier zu erwähnen, dass die Polizei unermüdlich, Tag und Nacht, bestrebt ist, Schaden von uns abzuwenden,
  • und dass Sie, die heute Abend hier sind, zum Gedenken, ein positives Zeichen setzen.

All Ihnen habe ich hier zu danken!

 

Auch zum Novemberpogrom / Reichspogromnacht-Gedenken von Frau Dr. Traub:
Margaret Traub – Vorrangiges Existenzrecht des Staates Israel
S. auch AKTUELLES zum Thema aus der GSI-Redaktion:
Luthers Geburtstag 1938: Kristallnacht – 2013: Israelkongress

Eric Martienssen

Seit meinem Kirchenaustritt 2009 spüren meine jüdisch-orthodoxen Freunde in Israel und ich in Artikeln und höchst politischen Schabbat-Kommentaren auf GSI (God's Sabbath Int.) den Fake News Roms nach.

Der damalige Pontifex zerstörte die Wohnung Gottes, den Tempel in Jerusalem - Fakt! War das Neue Testament und die Kirche nur eine Weltmacht strategische Geschäftsidee Roms? Was ist Politik heute? Viel Freude bei Ihrer Reise auf GSI.