Zeugnis und Lehre in neun Absätzen, von Marita Sara Meyer
(Religionswissenschaftlerin / Jüdische Studien)
Inhalt
I. Die Etablierung des Christentums führt zum ersten Schisma[1]
IV. Meine persönliche „Schabbes-Offenbarung“
V. Plastische Darstellung des Einpfropfens – ein Beispiel aus der Flora
VI. Bedeutung für den geistlichen Bereich
VII. Thesen aus Luchterhandts „Die Juden – Das auserwählte Volk Gottes“
VIII. Abschließende Gedanken und Zusammenfassung
IX. Sabbatimpressionen nach Abraham Joshua Heschel
Einleitung
Eigentlich sollten im Folgenden nur meine ganz persönlichen Sabbatimpressionen zeugnishaft vorgestellt werden. Aber dann habe ich all jene mich persönlich begeisternden Anschauungen, Erkenntnisse und historischen Entwicklungen über diesen göttlich gebotenen Ruhetag mit hinein genommen. Beginnen werde ich mit einem kleinen Abstecher in die frühe Kirchengeschichte. Dies ist mir wichtig, da die Urgemeinde aus Jesus gläubigen Juden und später nach Einsetzen der Mission unter den Nichtjuden sich immer mehr Gläubige aus den Völkern dazu gesellten. Doch leider hatte diese Symbiose nur wenige Jahrhunderte Bestand. Menschliche Willkür zerstörte sie und falscher, fataler Eifer des Kirchenklerus führten schließlich zur theologischen Enteignung der Juden. Doch trotz dieser durch Arroganz verursachten Missstände, hat Gott alles unter Kontrolle. ER ebnete den Weg für eine sich über Jahrhunderte vollziehende Restauration geistlicher Wahrheiten, die in letzter Konsequenz abermals zusammenführen werden, was zusammen gehört. Ein großer Teil des Aufsatzes beschäftigt sich daher mit der Vorstellung, dass der Sabbat zu einem Bindeglied zwischen Juden und Christen werden könnte. Zitate über den Geist des Sabbat, derer jedes einzelne eine Liebeserklärung ist, bekundet durch einen der größten jüdischen Philosophen des vergangenen Jahrhunderts, runden diesen Versuch einer Darstellung meiner persönlichen gedanklichen Prioritäten zum Sabbat ab.
I. Die Etablierung des Christentums führt zum ersten Schisma[1]
Im 4. Jahrhundert, in der Regierungszeit des Kaisers Konstantin, konnte der Antijudaismus der Kirche durch die Erhebung der christlichen Doktrin zur Staatsreligion von der Theorie in die Praxis umgesetzt werden. Durch Gesetz und Gewalt wurden Hass und Verachtung des jüdischen Volkes zum Ausdruck gebracht. Hatten die frühen christlichen Kaiser zunächst noch versucht, die Rechte der Juden aufrecht zu erhalten, so erlagen sie im Laufe der Zeit dem kirchlichen Druck und die Juden verloren ein Recht nach dem anderen. Die Kirchengesetze sahen vor, Kontakte zwischen Juden und Christen einzuschränken und den jüdischen Einfluss auf Christen vorzubeugen. Eines der Gesetze[2] untersagte den Juden sogar die Verbreitung ihrer Religion, damals hörte das Judentum auf, eine Missionsreligion zu sein. Nicht nur, dass das Judentum keine Proselyten[3] werben durfte, ein Gesetz aus dem Jahr 315 verbot sogar den Übertritt zum Judentum durch Androhung und Ausführung des Verbrennungstodes.
Christen- und Judentum hatten sich in dieser Zeit der Anfänge immer mehr voneinander entfernt, sodass die frühe Kirche schließlich kaum noch Jesusgläubige Juden in sich barg. Zu weit hatte die künftige Ecclesia[4] sich von Synagoga entfernt. Die Kirchenväter unter Konstantin hatten mit der Trennung vom Judentum ein Exempel für die Zukunft statuiert – und das Christentum seiner Wurzeln beraubt. Wichtiges im alten Testament dokumentiertes Bibelwissen ging der Christenheit dadurch verloren, während gleichzeitig heidnisches hellenistisches, römisches oder später auch germanisches Brauchtum die entstandenen Lücken ersetzte. So ging im Laufe der Jahrhunderte immer mehr von dem ursprünglichen Evangelium verloren.
II. Gott erstattet zurück
Doch hat Gott immer wieder entscheidende Wahrheiten seines Evangeliums zurück erstattet. Um nur einige zu nennen: Luther verwies neben der Bedeutung des geschriebenen Wortes auf die elementare Bedeutung von Gnade und Glauben, Wesley brachte die Botschaft von der Buße zurück, die Baptisten lehrten die Bekenntnistaufe, die Pfingstler die Ausgießung des Heiligen Geistes.
Um den Christen die Heiligkeit Gottes zu verdeutlichen, sollten sie eine Vorstellung der biblischen Feste haben, die ein jüdischer Journalist mit einem blühenden Kranz vergleicht und ihre symbolischen Werte als das Innerste mehr durchdringend preist, denn nüchterne Lehren. Einer Jakobsleiter gleichend, steige mit jedem Fest und an jedem Sabbat die jüdische Seele näher zu Gott, schwärmt dieser messianische Jude. Ja, das Wissen darüber wird uns Christen in erster Linie von messianischen Juden vermittelt. Ihre Lehre führt uns in geistliche Tiefen, z.B. über die Heiligkeit Gottes, der will, dass auch wir uns nach Heiligkeit und Heiligung ausstrecken, denn ohne Heiligung wird niemand das Antlitz Gottes sehen. Mit der Wiedereinbindung seines Volkes in den Kreis der Gläubigen aus allen Nationen schließt sich der Kreis der christlichen Gemeinschaft wieder und das Vorhaben Jesu, aus Juden und Nichtjuden eins in IHM zu machen, ist eingeleitet worden.[5]
III. Sabbat vis-à-vis Sonntag
Doch nun zurück zum Sabbat. Eine der Folgen frühchristlicher Abkehr vom Judentum war die Loslösung von demselben und die Instrumentalisierung des christlichen Sonntages. „Was hat nun der Sabbat, was der Sonntag nicht hat?“, ereiferte ich mich Jahre lang, die Einhaltung des Sabbat als Option neben dem Sonntag durchaus akzeptierend, aber eben als eine Variante von zweien. Aus Israelgebetskreisen, deren Teilnehmer häufig am Freitagabend zusammen kommen, war mir das Anzünden der Menora-Kerzen, der Sabbatgruß und auch das Brechen des Brotes durchaus vertraut und lieb geworden. Aber ansonsten war ich überzeugt, dass der Sonntag als Jahrhunderte alte bewährte religiöse Realität den Christen all das sein könne, was der Sabbat den Juden war.
Als sich im Oktober dieses Jahres meine Arbeitssituation dergestalt veränderte, dass ich erstmals seit über 20 Jahren am Sonnabend frei hatte, war ich zum ersten Mal bereit, mich auf den Sabbat als Ruhetag einzulassen, denn schließlich steht seine Einhaltung ganz oben auf der Prioritätenliste des HERRN. Herausgefordert durch Christen und Juden, die den Sabbat hielten, wollte ich wissen, was an den Huldigungen der „Sabbatwonne“ dran war, woher die besondere Liebe zu diesem von Gott auf den 7. Wochentag festgesetzte Ruhe rührte, die Aussagen hervorgebracht hatte wie: „Dem Gefühl, das einem am Sabbat überkommt, Ausdruck zu verleihen, ist, als wolle man einem Blinden einen herrlichen Sonnenuntergang beschreiben.“[6] Er wird beschrieben als Tag der Freude und des Frohsinns und genießt als einziger der jüdischen Bräuche eine Personifizierung. „Die Sabbatbraut“ oder schabbat ha-malka „Königin Sabbat“ wird er liebevoll, fast zärtlich genannt. Ein anderer Vergleich betrachtet den Schabbes, wie ich ihn gerne nenne, als Zufluchtsort, als Insel in der Zeit, vom Festland der Woche weit entfernt.
Rabbiner Donin behauptet, der Sabbat schenke physische, geistige, emotionelle und psychologische Wiederbelebung, der die Juden befähige, feindlichen Haltungen seitens der Umwelt zu widerstehen.[7] Diese Aussage wird gestützt durch den bekannten Ausspruch des Zionisten Achad Ha´am:[8] „Mehr als Israel den Sabbat hütete, hat der Sabbat Israel gehütet.“ Dabei war gerade die Einhaltung des Sabbats in der Diaspora zu einem Hauptkriterium in der Unterscheidung zwischen der jüdischen Lebenswelt und der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft geworden. Der Sabbat als Stein des Anstoßes, der sie als Volk erhielt und ihren Fremdenstatus fixierte. Sollte die aus Gottesfurcht ausgeführte Zelebrierung desselben die Juden über all die Jahrhunderte erhalten haben? Das erinnerte mich an eine einst an Napoleon gerichtete Frage nach dem größten Wunder, die er mit dem Erhalt der Juden beantwortete. Nun – wie dem auch sei. Die obigen Zitate sollen ausreichen, um die besondere Wertschätzung, die diesem Tag zukommt, Ausdruck zu verleihen. Für mich waren sie Ansporn genug der Frage auf den Grund zu gehen, ob der Sabbat, dem, der ihn hält, tatsächlich einen speziellen Segen verheißt.
IV. Meine persönliche „Schabbes-Offenbarung“
Zurück zu jenem Sabbat im Oktober. Dieser sowie die seither darauf gefolgten wurden für mich zu einer geistlichen Offenbarung. Ich wurde nicht enttäuscht, sondern durfte erleben, wie der HERR sich dazu stellt und, um Rabbiner Donin ein weiteres Mal zu zitieren, erfassen, was er mit dem folgenden Ausspruch meinte: „Es mag noch viele Jahre dauern, bis die große Welt beginnen wird, einen Glimmer des Geistes zu erhaschen, der dem jüdischen Sabbat eigen ist.“[9] Einen Glimmer des Geistes – des göttlichen Geistes, der für den siebten Tag mit seinem Volk eine Verabredung traf. An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Wort Fest, worunter der Sabbat fällt, im Hebräischen mit moed, festgesetzte Zeit, übersetzt wird. Gott ruhte am siebten Tag, darum soll auch die Schöpfung an eben diesem Tag ruhen. Man beachte: Angesprochen wird die Schöpfung – also die ganze Menschheit, lange bevor Gott die Erzväter als die Begründer des jüdischen Volkes herausrief. Sorry, aber da drängt sich mir ein Gedanke auf – kann es sein, dass all jene, die den Sonntag halten, mit einem Tag Verspätung zu dieser Verabredung kommen? Sicher kommen wir auch am Sonntag auf unsere Kosten und das Wirken des Heiligen Geist ist schließlich nicht auf den einen Tag begrenzt, sondern, sofern wir wollen, allezeit bei uns. Doch führten die Christen nicht die Trinitätslehre ein, in der die Rede von den drei Elementen der Gottheit ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Treffen Juden am Sabbat Gott-Vater? Auf alle Fälle war da etwas Lebendiges, denn ich erachte es nicht als Zufall, dass ich bedingt nüchterner Christ ausgerechnet an diesen ersten drei Sabbaten so geführt wurde, dass mir jedes Mal, wenn ich meine Bibel aufschlug, Stellen über den Sabbat ins Auge sprangen und mir hinterher direkt ins Herz fielen. In folgender Reihenfolge erhielt ich die unteren Schriftstellen:[10]
1. Jesaja 56: Heil für die Nationen bei Sabbathaltung
Kernvers 6: „Und die Söhne der Fremde, die sich dem HERRN angeschlossen haben, um ihm zu dienen und den Namen des HERRN zu lieben, ihm zu Knechten zu sein, jeden, der den Sabbat bewahrt, ihn nicht zu entweihen und (alle), die an meinem Bund festhalten: die werde ich zu meinem heiligen Berg bringen und sie erfreuen in meinem Bethaus. Ihre Brandopfer und ihre Schlachtopfer sollen mir ein Wohlgefallen sein auf meinem Altar. Denn mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Völker. So spricht der Herr, HERR, der die Vertriebenen Israels sammelt: Zu ihm, zu seinen Gesammelten, werde ich noch mehr hinzusammeln.
2. Jes. 30,15
Denn so spricht der Herr, HERR, der Heilige Israels:
„Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke.“ Das Wort „Sabbat“ bedeutet im Hebräischen so viel wie „Ruhe“.
Die Folge daraus wird ab Vers 18-26 beschrieben:
Kernvers für mich sind die Verse 20 und 21: „Sobald er hört, wird er dir antworten. Und hat der HERR euch auch Brot der Not und Wasser der Bedrängnis gegeben, so wird dein Lehrer sich nicht mehr verbergen, sondern deine Augen werden deinen Lehrer sehen. Und wenn ihr zur Rechten oder zur Linken abbiegt, werden deine Ohren ein Wort hinter dir her hören: Dies ist der Weg, den geht!“
Eine weitere elementare Aussage zum Sabbat finden wir in Jesaja 58,13-14: Wenn du deinen Fuß vom Sabbat zurück hältst, deine Geschäfte an meinem heiligen Tag zu treiben, und nennst den Sabbat eine Wonne und den heiligen Tag des HERRN ehrwürdig, und wenn du ihn ehrst, so dass du nicht deine Gänge machst, deinem Geschäft nachgehst und eitle Worte redest, dann wirst du deine Lust am HERRN haben. Und ich werde dich einherfahren lassen auf den Höhen der Erde und werde dich speisen mit dem Erbteil Jakobs, deines Vaters. Ja, der Mund des HERRN hat geredet.
3. Schließlich fand ich, dass es Zeit sei, zum NT zurückzukehren. Genauso spontan wie die anderen Male schlug ich dieses Mal Matthäus 12 auf, wo mir folgende Überschrift ins Auge sprang: Die Sabbatfrage – und der Kernsatz daraus: „Denn der Sohn des Menschen ist HERR des Sabbats.“ Mit anderen Worten, Jesus entscheidet über die Form der Einhaltung. Er will Barmherzigkeit statt Schlachtopfer und lehrt, dass der Sabbat nicht über den menschlichen Bedürfnissen steht. Er ist für den Menschen da und nicht umgekehrt (Mk 2,27). Gott will uns an diesem Tag der Ruhe begegnen und uns Gutes tun wie auch wir anderen Gutes tun dürfen. Darüber hinaus entfachte dieser Vers eine kleine geistliche Revolution in mir. Wenn Gott-Vater den Sabbat so hoch auf der Prioritätenliste anordnete, dass er ihn zum 3. Gebot (nach Zählweise) erklärte, Gott-Sohn der HERR des Sabbats ist, dann kann es nicht Gott-Heiliger Geist gewesen sein, der die Kirchenväter zur Einführung eines eigenständigen christlichen Ruhetages veranlasste. Bestenfalls mag es aus damaliger Sicht als eine kirchenpolitische Notwendigkeit erschienen sein.
An den folgenden Sabbaten begann der Heilige Geist mich auf verschiedene Themen hinzuweisen, wie Heiligkeit oder seine Liebe zum arabischen Volk. Außerdem nahm ich mir vor, dem HERRN an jedem Sabbat ein Problem hinzulegen, dass in meinem persönlichen Leben angegangen werden musste. Gleichzeitig begann ich IHM dafür zu danken, dass er die Lösung hat. In mehr als einem Fall zeigte sich innerhalb weniger Stunden eine Veränderung in der komplizierten Beziehung zu einem Menschen an, für dessen Wohl ich nun beten konnte und der nur einen Tag später darauf positiv reagierte. In beruflicher Hinsicht wurde eine Lösung sichtbar. Am Sabbat hatte ich um Veränderung gebeten und am Sonntag bat mich eine erkrankte Kollegin, für sie den Vertretungsunterricht zu übernehmen. Dadurch wurde eine Tür aufgestoßen.
V. Plastische Darstellung des Einpfropfens – ein Beispiel aus der Flora
Wie darf man sich nun ein solches Einpfropfen vorstellen? Wenn wir hierzu einen Abstecher in die Botanik machen, werden wir feststellen, wie geeignet ein plastisches Beispiel aus der Natur zur Illustration dessen, was Gott sich zur Vervollkommnung seiner Schöpfung im Geistlichen gedacht hat, sein kann. Einpfropfen ist eine Form der Veredlung, dabei werden zwei Teile verschiedener Pflanzen miteinander verbunden. Damit kann aus ihnen etwas Neues, etwas Vollkommeneres erwachsen, eben das Edelste aus beiden Pflanzen, was keine der beiden Arten hätte ohne die andere hervorbringen können. Es entsteht eine veredelte Pflanze, wie sie sich der schöpfende Mensch nach langem Experimentieren erarbeitet hat.
Im Fachjargon des Gärtners werden diese beiden Teile von Wild- und Edelpflanze als Unterlage und Pfröpfling bezeichnet. Wichtig ist, dass der Pfröpfling denselben Durchmesser wie die mit einem sauberen Messer erhaltene glatte Schnittfläche der Unterlage hat. Anschließend wird der Pfröpfling mit einem Gummiband auf der Unterlage befestigt und bleibt solange daran bis er angewachsen ist. Nach dieser Methode werden auch Rosen veredelt. Aus der Kreuzung zweier Arten der Gattung Rose lässt der Schöpfer eine neue Art entstehen: in diesem Exempel sind es historische und kultivierte Hybrid-Rosen, letztere findet man in jedem Garten und Floristikgeschäft. Doch trotz ihres schönen Aussehens, dem ausdauernden Flor, den wenigen Stacheln[11] und den wohlgeformten, kelchförmigen Blüten, fehlt dieser dem Pflanzenliebhaber so vertraute wie herkömmliche Rose etwas Entscheidendes: Der von vielen Poeten besungene und viel gepriesene Duft der Blüte ging durch Überzüchtung bei vielen Sorten verloren, auch erinnert die Blüte in keiner Weise mehr an das Original der Wildrosen, aus denen sie einmal durch menschliche Manipulation hervorgegangen sind.
Währenddessen blieb beides in der unbekannteren historischen Rose erhalten. Dafür allerdings, blühen historische Rosen nur einmal im Jahr, sozusagen kurz und heftig. Da sie schnell verwelkt und stark mit abwehrenden Stacheln behaftet ist, konnte sie sich auf dem Markt nicht durchsetzen. Kaum jemand nimmt Notiz von diesen trotz alledem sehr reizvollen Pflanzen mit all den guten Anlagen des Originals. So kreierte man nun aus beiden Arten eine neue Art, die ihrerseits wieder das Potential für viele neue Sorten in sich birgt. Aus dieser Symbiose entstand eine Rose mit großen schalenförmigen Blüten, deren intensiver Duft den Spaziergänger erfreut, Bienen anlockt und nährt. Manche von ihnen setzen sogar wie die kultivierte Hybrid-Form zu mehrfachem Flor an.
So entstand die englische Rose, eine Pflanze mit viel Charme, eine Kreation mit Perfektion. Eine neue Rose wie der Schöpfer – in diesem Fall David Austin – sie sich gedacht hat, erblickte das Leben: Rosen, die alle Eigenschaften, die der Schöpfer und auch der Konsument für wünschenswert hält. Dazu musste die ursprüngliche mit den alten Gott-gegebenen Anlagen erhalten bleiben. Nur so konnte etwas derart Schönes, Liebliches wie auch Vollkommenes geschaffen werden.
VI. Bedeutung für den geistlichen Bereich
Um Juden und Christen zusammen bringen zu können, muss eine tragbare Ebene, eine Wellenlänge, – botanisch gesprochen – ein gleich großer Schnitt vorhanden sein, damit sie zu einander passen und verbunden werden können. Diese Schnittstelle muss darüber hinaus sauber und glatt sein, damit Infektionen das Zusammenwachsen nicht verhindern. Diese Schnittstelle muss etwas sein, das Gott selbst institutionalisiert hat, etwas, dass von Anbeginn der Zeiten an, nicht für die Juden allein gedacht war, sondern für die ganze Menschheit, also etwas, das für den Menschen an sich geschaffen wurde: sprich den Sabbat (1.Mose 2). Er gibt den Saft, die Kraft, die beide zusammenpassen lässt.
Warum dies notwendig ist, sagt uns der Prophet Jesaja in einer Passage, die die zukünftige Heimkehr der Zerstreuten beschreibt: “Und es wird geschehen: Neumond für Neumond und Sabbat für Sabbat wird alles Fleisch kommen, um vor mir anzubeten, spricht der HERR.” (66,23) “Alles Fleisch” meint die ganze Menschheit. Möchte da jemand hinein interpretieren, dass die Christen aber erst einen Tag später kommen werden, während die Jesusgläubigen Araber aus islamischem Hintergrund bereits einen Tag zuvor am Freitag, dem heiligen Tag der Muslime, nach Jerusalem zum Berg des HERRN ziehen werden? Nein, Jesus hat laut Epheser 2,14 aus beiden – Juden wie Nichtjuden – eins gemacht und die Zwischenwand der Umzäunung abgebrochen[12], ein Konzept, das bereits vor 2.000 Jahren angelegt wurde, aber erst jetzt erfolgt die Phase der Umsetzung in Gottes Zeitplan. Wir leben in der Wahrheit von Jes 40,1-2. Die Fronzeit Israels ist abgetragen. Gott wendet sich seinem Volk vor den Augen der Völker wieder zu, bringt sie heim und gibt sich ihnen zu erkennen. Die Missionare der Endzeit werden aus dem jüdischen Volk kommen und dies ist absolut im Willen Gottes: “Ich, der HERR, ich habe dich in Gerechtigkeit gerufen und ergreife dich bei der Hand. Und ich behüte dich und mache dich zum Bund des Volkes, zum Licht der Nationen, blinde Augen aufzutun, und Gefangene aus dem Kerker heraus zu führen.” (Jes 42,6)
“Zum Licht der Nationen” – mit anderen Worten: Das Beste seiner Lehre hat Gott sich bis zuletzt aufgehoben, es ist sein Volk, dass sie uns verkünden wird und es hat damit bereits begonnen. Es ist die Lehre von der Heiligkeit und des Charakters Gottes, die Tiefen des Evangeliums, u.a. durch die Lehre der biblischen Feste, deren einer und höchster der Sabbat ist.
Juden wie Christen werden, wie die heilige Schrift uns lehrt, durch die Haltung des Sabbats geheiligt. Der Sabbat ist die Grundlage, auf der beide Teile durch den Glauben an den Messias oder Maschiach zusammengehalten werden. Dieser Veredlungsschnitt ist eine Aufgabe für Profis. Wichtig ist bei all dem, dass der richtige Zeitpunkt abgewartet wird. Die Beschaffenheit beider Teile erfordert eine gewisse Reife, damit das ganze funktioniert. Römer 11,25 lehrt uns”…bis die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird.” Dann werden auch die Juden den Messias sehen. Alles war von Anbeginn an in Gottes Plan, zwar gilt “Hinsichtlich des Evangeliums sind sie Feinde um euretwillen, hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte um der Väter willen.”
Hätte man die Historischen Rosen wegen ihrer kleineren Blüten und der in Relation zu den großen, kelchförmigen Edelrosen geringeren Blütezeit als minderwertig ausgerottet – nie wäre diese wunderbare neue Art entstanden. Ich will das Beispiel mit den Rosen nicht überstrapazieren. Was ich sagen will ist, dass Gott mit Juden und Christen gesonderte Wege ging. Wege, auf die Paulus uns im Römerbrief hinweist. Da ich Gott unterstelle, dass er weiß, was er tut, gehe ich davon aus, dass beide Wege, der der Juden als auch der der Christen in Seinem Plan waren. Die Abweichungen vom Urchristentum entstanden durch Komplikationen im interreligiösen wie -kulturellen Bereich, menschliche Schwächen führten in eine Sackgasse. Es ging nicht mehr weiter geradeaus, sodass nur das Ausweichen auf Umwege zur Rechten oder zur Linken blieb. Aus diesem Grund entwickelte sich eine christliche Eigendynamik, deren gesunder Menschenverstand neben vielem anderen den Sonntag institutionalisierte. Während die Christen in ihrer Ignoranz allzu oft in rechthaberischer, an Lieblosigkeit kaum zu überbietender Manier das Angesicht ihres Heilandes entstellten, konnten die Juden darin unmöglich den Messias erkennen. Elie Wiesel entlockte dem Scheitern christlicher Nächstenliebe die zynische Bemerkung:
“Die Inquisition hat meine Einbildungskraft unwiderstehlich angezogen. Mich faszinieren diese rätselhaften Priester, die im Namen der Liebe und zum heiligen Ruhm eines jungen Juden aus Galiläa alle, die Gottvater dem Sohne vorzogen, gefoltert und einen langsamen Tod überliefert hatten. “[13]
So ließ ihre Gottestreue die Juden an den alten Gesetzen und Überlieferungen festhalten. Hätten sie stattdessen dem massiven Bekehrungseifer der Christen nachgegeben, wären sie als assimilierte Masse unter den Völkern untergegangen. Die deutschen Juden standen Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts kurz davor. Wer würde den Christen dann das jüdische Element der Bibel lehren? Dass sie Jesus nicht als den “Sohn” Gottes annehmen konnten, hat geistliche Ursachen, die wiederum verantwortlich für die Entstehung der unterschiedlichen Wegführung von Juden und Nichtjuden sind. Nachfolgend werden sie von dem Münchener Rechtsanwalt und Bibelkenner Luchterhandt aufgezeigt.
VII. Thesen aus Luchterhandts „Die Juden – Das auserwählte Volk Gottes“
Hans-Friedrich Luchterhandt hat in seinem Buch „Die Juden – Das auserwählte Volk“[14] eine interessante These für die verschiedenen Wege von Juden und Christen aufgestellt. Die folgenden Passagen sind weitgehend seiner in Buchform verfassten Abhandlung entnommen.
Er argumentiert, dass die Vorstellung Gott habe einen Sohn, eine gewaltige Zumutung für das überlieferte Gottesverständnis des jüdischen Volkes gewesen sei. Es müsse den Juden als eine gotteslästerliche Idee erschienen sein, da sie seit Jahrtausenden täglich im Sch’ma Israel beteten „Gott ist Einer!“ (5. Mose 6,5) Man bedenke nur die Macht all dieser Gebete!
Für Nichtjuden, in deren Seelensubstanz kein einheitliches Gottesbild existiert habe, sondern noch der vielgestaltige Götterhimmel herrschte, sei die Seelenpalette noch gänzlich „unbemalt“ gewesen. Aus diesem Grund wäre es für die Nichtjuden viel einfacher gewesen, sich dem HERRN zu öffnen als er ihnen von den Jüngern Jesu gebracht wurde, argumentiert Luchterhandt.
Ist es nicht so, meine ich, dass wir den Juden ihre Gesetzlichkeit um die Ohren warfen, obwohl es unter den Christen weitaus größere Moralprediger und verurteilende Gesetzesmenschen zu finden sind. Hätten wir Jesus, unseren Heiland, wirklich im Herzen getragen und die Juden mit brüderliche Liebe behandelt, hätten wir sie vielleicht „zur Eifersucht reizen“ können (Röm 10, 19). Sie beteten zum selben Gott, der jeden von uns und jedes Volk seinen Weg führt. Hier sei darauf hingewiesen, dass Völker Aufgaben haben. Es ist von Nutzen, die Geschichte der Völker und ihre positiven wie negativen Leistungen heraus zu filtern. Man wird feststellen, dass Gott bestimmte Völker immer wieder in ähnlicher Weise gebraucht, aber darauf soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.
Völker gehen an Gottes Hand wie jeder einzelne, der sich willentlich in die Obhut des HERRN begibt. Niemand gab uns das Recht, die sogenannte „Halsstarrigkeit“ der Juden anzuprangern. Niemand kann aus eigener Kraft heraus den Messias erkennen (Mt. 16,17), sondern nur weil es ein Gnadengeschenk des HERRN ist, erkauft durch das Opfer des geistigen Erstgeburtsrechts. Jakob vor Esau. Ephraim vor Manasse. Doch zurück zu Luchterhandt, der seine Leser auf eine Warnung Paulus aufmerksam macht, die Heiden sollen sich nicht über die Juden erheben, schließlich sei ihnen in der Schrift gesagt, die geistliche Blindheit Israels würde weichen sobald die Vollzahl der Nichtjuden den Weg zum Erlöser gefunden hätte. (Röm 11,25-26).
„Wenn aber einige Zweige heraus gebrochen wurden und wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel, so erhebe dich nicht über die anderen Zweige. Erkenne die Güte Gottes und seine Strenge! Die Strenge gegen jene, die gefallen sind, die Güte aber gegen dich, sofern du in seiner Güte bleibst; sonst wirst auch du herausgehauen werden.“ Römer 11,17,18+22
Hier stellt sich die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Israels Blindheit für den Messias und dem Erkennen des Messias durch die Nichtjuden? Luchterhandt stellt die Vermutung in den Raum, dass wir gerade diesem Blindsein für den Messias eine große Dankesschuld gegenüber den Juden haben. Erkenntnis des Messias habe niemand aus eigener Kraft, sondern oftmals dadurch, dass jemand für ihn bete. Dies könne nicht erkauft werden, sondern würde durch Gebet in unser Herz gelegt.
Dies führt den Autor zur nächsten Frage. Was hat das mit den Juden zu tun, die Jesus nicht als ihren Messias erkennen können? Er stellt fest, dass das jüdische Volk vierzig Jahre nach der Kreuzigung Jesu seines Landes vertrieben wurde, „zerstreut unter alle Völker“. Doch gingen sie nicht unter, sondern lebten weiterhin nach den Gesetzen des Mose, verehrten und ehrten Gott durch die Einhaltung der Tora, wie einst in Israel. Sie beteten weiterhin für ihre Erlösung. Für sich selbst – und für die Nichtjuden in ihrer Umgebung, für uns! Sabbat für Sabbat sei in den Synagogen aus der Tora gelesen worden, die Psalmen wurden gebetet, ferner wurden in jüdischen Häusern die Sabbatlichter angezündet, die jüdischen Feste gefeiert sowie der Sehnsucht nach Ankunft des Messias Ausdruck verliehen und schließlich – für das Heil der Völker gebetet. Ps. 86., Jes. 45, 20-24
Überall, wo im Laufe der Jahrhunderte die christlichen Missionare hinkamen, seien die zerstreuten Juden schon längst dort gewesen, oft einige Jahrhunderte zuvor, hätten Gemeinden gebildet und – gebetet! Gebetet, dass die Völker den Gott Israels erkennen möchten. Und gerade diesen Gott predigten die christlichen Missionare! Die Juden hätten den Seelenboden derart zubereitet, dass die Völker „Christen“ werden konnten. Sie schufen die seelischen Verbindungen und durchsäuerten wie der Sauerteig, mit dem Jesus in seinem Gleichnis das Himmelreich vergleicht (Mt 13,33; Lk 13,21). Sie gaben die geistliche Kraft, damit die Erde mit dem Geist der Liebe, der Erkenntnis des wahren Gottes gesalzen werden konnte.
Paulus resümiert in Römer 11, 11:
„Nun frage ich: Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie zu Fall kommen? Das sei Ferne! Vielmehr kam durch ihr Fehlgehen das Heil zu den Völkern.“ Mit anderen Worten: Sie lieferten die Grundlage dafür, dass wir Heiden den Weg zum Evangelium, zum Heil, zu Jesus gefunden haben. Luchterhandt führt den Leser hier in die Tiefen der Zusammenhänge ein und lässt uns wissen, dass das, was Jesus in Mt 20,16 ausspricht ein Schöpfungsgesetz sei: „Die ersten werden die letzten sein.“ Die Juden seien die ersten auf dieser Welt gewesen, denen die Erkenntnis des wahren Gottes geschenkt wurde, die sich für diese Offenbarung geöffnet hätten und sie annahmen. Es verlange, dass die Ältesten nun ihrerseits ihre Kraft und ihre Liebe hergäben und diese zum Opfer brächten, damit die Nachfolgenden die Kraft erhielten, ihn gehen zu können. Wie auch Jesus am Karfreitag seine Kraft, seine Liebe und Gottesverbindung zum Opfer brachte. ER habe gelitten, damit die Seinen als erste mit dem Heiligen Geist erfüllt werden konnten. Römer 8,29
Jesus hätte die Juden für seine Erlösungspläne gebraucht, erklärt Luchterhandt. Durch ihre unwandelbare Treue zu Gott und zu Seinem Gesetz, wenn auch nicht zu Seiner neuen Botschaft, durch ihren über die Jahrhunderte hinweg verrichteten treuen Gebetsdienst konnte der HERR Licht und Kraft zu den Völkern bringen. Heute, wo uns diese Zusammenhänge erschlossen würden, sei es nun die Aufgabe der Nichtjuden, der Völker, ihre Dankesschuld an Israel abzustatten und für sie zu beten, ihnen nun die Kraft zuzuleiten, damit jetzt sie den Weg zu Jesus finden könnten. Mehr brauche es nicht, vor allem keine Judenmission, argumentiert Luchterhandt. Denn der HERR selbst werde, wenn die Zeit dazu reif geworden sei, sich in ihren Herzen offenbaren.[15] Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs würde den neuen und diesmal den ewigen Bund mit ihnen schließen, wie er es durch die Propheten angekündigt habe. Jer 31,31.
VIII Abschließende Gedanken und Zusammenfassung
Der HERR hat aus beiden eins gemacht, durch seinen ewig gültigen Opfertod. Als HERR des Sabbats ist die Einhaltung von diesem für beide – Juden wie Christen- verbindlich. Die Juden stehen in der Welt allein. Sie wollten leben, um ihren Dienst vor dem HERRN zu verrichten, aber dann brach über die Jahrhunderte wieder aus heiterem Himmel eine Katastrophe über sie herein. In den letzten Jahrzehnten haben Christen in Wort und Tat ihre Solidarität mit dem jüdischen Volk erklärt. Für ein geistliches Zusammenwachsen reicht dies aber nicht aus. Die Einhaltung des Sabbats, wie in Jes. 56 angesprochen, lässt uns Teilhaber des Landes Israel werden. Die Sabbateinhaltung der Christen bewirkt, dass Kraft mit in den geistigen Ölbaum hineinfließt, bindet Juden und Christen enger zusammen. Verbunden werden die eingepfropften Zweige durch ihren gemeinsamen Glauben an den Gott, der ihnen den Sabbat zu halten geboten hat. In Kol. 2,17 wird verkündet, dass der Sabbat ein Schatten der zukünftigen Dinge ist.
Die messianische Symboldeutung der beiden Challot (Sabbatbrote) ist eine zweifache: Zum einen erinnern sie an den Auftrag, dass Gott in der Wüste am Vortag das Volk mit der doppelten Portion Manna versorgte. Es symbolisiert aber auch, dass Juden und Nichtjuden als Gottes Volk eins in Jeshua sind. Juden und Nichtjuden gehören zusammen und sollen das Fest zusammen feiern, gemeinsam das Brot brechen. Der Sabbat ist nach dem Versöhnungstag, der als König der Sabbate gilt, der höchste jüdische, aber auch biblische und damit der Schöpfung auferlegte Feiertag überhaupt. Wenn Christen beginnen, diesen einzuhalten, wird nicht nur Wesentliches in deren persönlichem Leben, sondern auch in der Beziehung zwischen Juden und Christen geschehen. Ich glaube, dass dies die Vorstufe für Sukkot ist, an dem die Völker mit Israel versöhnt sein werden. Sach. 14,16ff: Am Laubhüttenfest, welches die Völker nach Jerusalem pilgern lässt, sind Juden und Christen miteinander versöhnt und werden in der Lage sein, den HERRN gemeinsam anzubeten.
Rabbiner Donin weist ausdrücklich darauf hin, dass der Sabbat mehr als ein Ruhetag mit Arbeitsverbot ist. Er ist ein jom kadosh, ein heiliger Tag, anders und abgesondert von den anderen Tagen. Er ist der Höhepunkt der Woche, um den alle anderen Tage sich drehen.[16] Prof. Rendtorff gehört als Theologe zu den führenden Klerikern, die massiv für den jüdisch-christlichen Dialog eintreten. Aus dem Wissen, dass die Bibel sowohl die Glaubensgrundlage der Juden als auch der Christen ist, zieht er das Fazit, dass wenn wir, die wir zu den Völkern gehören, und diesen selben Gott verkündigen, damit in eine gemeinsame Aufgabe mit Israel gegenüber der Welt eintreten.[17]
Der Sabbat hat sowohl eine gesetzliche als auch eine spirituelle Bedeutung. Und wer weiß, vielleicht dauert es ja doch nicht mehr so viele Jahre, „bis die große Welt beginnen wird, einen Glimmer des Geistes zu erhaschen, der dem jüdischen Sabbat eigen ist.“ Eine Ahnung davon vermittelt uns der jüdische Philosoph Heschel.[17] Aus der chassidischen Lebenswelt stammend, einer mystisch-geistlichen Richtung, die ihren Anhängern Lebensfreude bereitete, gibt er diese Erfahrung in seinen Werken weiter. Beide sind nicht voneinander zu trennen. Die Sabbatimpressionen sind nur ein Teil von diesen und nehmen den unbedarften Leser mit in eine Welt der Faszination, die nur der zu erleben vermag, der sich in der Arena befindet und sich nicht auf der Zuschauerbank herumdrückt.
IX. Sabbatimpressionen nach Abraham Joshua Heschel
„Der ganze Sabbat muss in Liebreiz, Anmut, Frieden und großer Liebe verbracht werden…, denn an diesem Tag finden selbst die Verdammten in der Hölle Frieden.
„Ihr sollt am Sabbat in eurer ganzen Wohnung kein Feuer anzünden“ (Ex 35,3) wird so interpretiert: „Ihr sollt kein Feuer des Streites noch die Hitze des Zornes entfachen.“
„In dem stürmischen Meer der Zeit gibt es Inseln der Stille, wo der Mensch in einen Hafen einlaufen und seine Würde wiederfinden kann. Die Insel ist der siebte Tag, der Sabbat,…“
„Der Sabbat ist der Waffenstillstand im grausamen Existenzkampf des Menschen, ein Waffenstillstand in allen persönlichen und sozialen Konflikten. Friede zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Natur, Friede im Menschen…“
„Die Pflicht sechs Tage zu arbeiten, ist ebenso Teil von Gottes Bund mit dem Menschen wie die Pflicht, am siebten Tag keine Arbeit zu tun.“
„Der Sabbat lehrt alle Geschöpfe, wen sie preisen sollen.“ Der Sabbat ist eine der größten Gaben des Lebens, eine Quelle des Lebens, eine Quelle der Kraft und Begeisterung, um schwere Prüfungen zu ertragen, um edel zu leben. Die Arbeit der Wochentage und die Ruhe am siebten Tag gehören zusammen. Der Sabbat verleiht den Geist, den anderen Tagen wird er verliehen.“
„Der Sabbat besitzt eine Glückseligkeit, die die Seele bezaubert, sich in unser Denken einschleicht und es heilt“
„Der Sabbat ist eine Erinnerung an die beiden Welten—diese Welt und die zukünftige; er ist ein Beispiel für die beiden Welten. Denn der Sabbat ist Freude, Heiligkeit und Ruhe. Freude ist ein Teil dieser Welt, Heiligkeit und Ruhe gehören zur kommenden.“
„Nenne den Sabbat eine Wonne: eine Wonne für die Seele und eine Freude für den Leib.“
„Der Sabbat ist eine Braut und die Sabbatfeier wie eine Hochzeit…So wie eine Braut lieblich und geschmückt ist, ist auch der Sabbat lieblich und geschmückt; so wie der Bräutigam seine besten Kleider angezogen hat, so wie ein Mann alle Tage seines Hochzeitsfestes fröhlich ist, ist der Mensch fröhlich am Sabbat.“
„Der Sabbat ist die einzige Tochter Gottes.“
„Die Bedeutung des Sabbats ist, die Zeit zu feiern und nicht den Raum. Sechs Tage der Woche leben wir unter der Tyrannei der Dinge des Raums; am Sabbat versuchen wir uns einzustimmen auf die Heiligkeit der Zeit. An diesem Tag sind wir aufgerufen, Anteil zu nehmen an dem, was ewig ist in der Zeit, uns vom Geschaffenen dem Geheimnis der Schöpfung selbst zuzuwenden, von der Welt der Schöpfung zur Schöpfung der Welt. Der Mensch überwindet den Raum, aber die Zeit überwindet den Menschen.“
„Der Sabbat ist ein Bild von der zukünftigen Welt. Das Kennzeichen von der zukünftigen Welt ist von der gleichen Heiligkeit, wie sie der Sabbat dieser Welt besitzt.“
[1] Kirchenspaltung
[2] Cod. Theod. 16,8,1 entnommen aus der TRE (Theologische Realenzyklopädie), Stichwort „Antisemitismus“.
[3] Konvertiten; die Kirche wollte verhindern, dass Christen zum Judentum übertraten. Dieses Verbot veränderte den Charakter des Judentums, denn es durfte nicht länger Missionsreligion sein. Um sich zu erhalten, war es auf die eigene Nachkommenschaft angewiesen. Noch heute hat das Judentum seinen missionarischen Charakter nicht wieder gefunden. Eine Ausnahme bilden die Lubawitscher Juden. Eine mystische Variante des Judentums, die im letzten Jahrhundert von Ost – Galizien (in der heutigen Ukraine) nach New York auswanderte und heute in diesen Raum zurückkehrt, aber auch in Deutschland tätig ist.
[4] Ecclesia bezeichnet die christliche Kirche. In der bildenden Kunst wurde sie von der Kirche in Gestalt einer Frau personifiziert, die sich von der ebenfalls als Frau dargestellten blinden Synagoga abwendet.
[5] vgl. Eph 2,11.
[6] Rabbiner Donin, Chajm Halevy: Jüdisches Leben – eine Einführung zum jüdischen Wandel in der modernen Welt, S. 67.
[7] ebd. S.75.
[8] Achad Ha´am ist ein Pseudonym und bedeutet „Einer aus dem Volke“. Sein bürgerlicher Name ist Ascher Ginzberg (1856 Ukraine –1927 Tel Aviv). Ginzberg war zionistischer Philosoph und einer der profiliertesten hebräischen Schriftsteller um die Jahrhundertwende im russisch-jüdischen Kulturraum. Das Zitat ist den Lesern vielleicht in anderer Form vertrauter: „Mehr als die Juden den Sabbat hielten (bewahrten), hielt (bewahrte) der Sabbat die Juden.“
[9] Rabbiner Donin, Chajm Halevy: Jüdisches Leben, S. 69.
[10] Elberfelder Bibel
[11] Rosen haben nur dem Volksmund nach Dornen, in der Botanik spricht man von Stacheln. Letztere lassen sich von der oberen Zellschicht lösen und sind nicht wie Dornen mit dem Mark, also dem Inneren des Stängels, verwachsen
[12] Im jüdischen Verständnis versteht sich die mündliche Tora, die Moses ebenfalls am Sinai von Gott erhalten haben soll und aus der sich die rabbinischen Quellen wie der Talmud speisen, als Zaun, der die Tora, das schriftliche Gesetz, umgibt und schützt. Durch Jesu Kreuzestod riss der Vorhang – und zwar von oben nach unten – so kann nur Gott zerreißen, nicht der Mensch. Dadurch wurde der Zugang zum Allerheiligsten, zur Präsens Gottes, der Schechina, für Juden und Nichtjuden frei.
[13] Wiesel, Elie: Gesang der Toten, 1987, S. 70.
[14] Vgl. Luchterhandt, Hans-Friedrich: Die Juden – Das auserwählte Volk Gottes, München 1988, S. 34-49.
Das Buch kann kostenlos angefordert werden unter der folgenden Adresse: Dr. Hans-Friedrich Luchterhandt, Egenhofenstr. 37e, 8033 Planegg bei München. Der Autor des Buches ist Rechtsanwalt, bezeichnet sich als Bibelleser, hat aber weiter keine theologische Ausbildung.
[15] vgl. hierzu auch Hes. 36, 21-28. Eine neutestamentliche Parallele stellt die Offenbarung Jesu dem Saulus auf dem Weg nach Damaskus dar.
[16] Rabbiner Donin, S. 69.
[17] vgl. Rendtorff, Rolf: Christen und Juden heute – Neue Einsichten und neue Aufgaben, Neukirchener Verlag, 1998, S. 86.
[18] Abraham Joshua Heschel wurde 1907 in Warschau geboren und starb 1972 in New York. Er stammt von berühmten chassidischen Führern ab. Er studierte in Berlin, wurde 1938 von den Nazis nach Polen ausgewiesen, flüchtete 1939 über England in die USA, wo er an mehreren Universitäten lehrte. Die Schriftauszüge sind dem folgenden Buch entnommen: „Der Sabbat – Seine Bedeutung für den heutigen Menschen“ (Neukirchener Verlag).