Rede Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, 10.11.2011
am Synagogen-Mahnmal in Bonn (Erzberger Ufer Bonn)
Sehr geehrte Frau Mehmel,
sehr geehrte Frau Dr. Traub,
liebe Mitglieder der jüdischen Gemeinde, sehr geehrte Damen und Herren,
wie in jedem Jahr sind wir heute zusammengekommen, um des Pogroms von 1938 zu gedenken. Mit den gewaltsamen Ausschreitungen vom 9. und 10. November 1938 wurde die Verfolgung der Juden erneut verschärft. Im Gegensatz zur Darstellung der nationalsozialistisch gelenkten Presse handelt es sich bei der Zerstörung von Synagogen, jüdischen Geschäften, Wohnungen und Häusern nicht um spontane Aktionen der Bevölkerung, sondern um eine lange vorbereitete und reichsweit koordinierte Aktion. Auch hier an diesem Ort – in der ehemaligen Tempelstraße – und in Bad Godesberg, Beuel, Poppelsdorf und Mehlem brannten die Synagogen. Der Pogrom des Jahres 1938 markierte einen Wendepunkt – von der Diskriminierung und systematischen Verfolgung hin zur Deportation und schließlich zur Ermordung von sechs Millionen Juden. Daher erinnern wir in diesem Jahr auch an die ersten Deportationen von Juden aus dem Rheinland ins Ghetto Litzmannstadt im Herbst 1941. Unter den rund 2.000 jüdischen Frauen, Männern und Kindern, die aus Köln und anderen Orten des Rheinlands nach Litzmannstadt deportiert wurden, waren auch gebürtige Bonnerinnen und Bonner, die zum Teil lange in Bonn gelebt hatten, zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung aber in Köln wohnten. Aus diesem Anlass hat das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln die Ausstellung „Deportiert ins Ghetto“ entworfen, die gegenwärtig im Landtag NRW gezeigt wird und im nächsten Jahr auch in Bonn zu sehen sein wird. Nur wenige Menschen in Deutschland fanden damals den Mut und die Kraft, gegen die Übergriffe vorzugehen – viele befürworteten diese Politik oder beteiligten sich sogar. Wie konnte es passieren, dass Menschen tatenlos mit zusahen, wie jüdische Nachbarn ausgegrenzt, gequält und schließlich ermordet wurden? Diese Frage müssen wir uns auch heute, am 73. Jahrestag des Pogroms, stellen.
- „Keine Gemeinschaft, keine Gesellschaft und auch kein Staat kann ohne Erinnerung leben“
– so hat es der damalige Bundespräsident Roman Herzog in einer Rede im Jahre 1998 formuliert. Was bedeutet es wirklich für Menschen, in einem Willkürstaat zu leben, entrechtet und entwürdigt zu werden und ständig um ihr Leben fürchten zu müssen? Erinnerung bedeutet, dass wir uns an die Opfer erinnern. Es bedeutet aber auch, dass wir nicht nur über die Verbrechen des so genannten Dritten Reiches bei offiziellen Anlässen wie diesem sprechen, sondern gerade jungen Menschen die Möglichkeit eröffnen, sich aktiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. In Einrichtungen wie in den Gedenkstätten in Bonn und vielen anderen Orten Nordrhein-Westfalens können Schülerinnen und Schüler selbst forschend nachvollziehen, was es bedeutet, wenn die Familie, die Freunde verfolgt, gefoltert und ermordet werden. Was es bedeutet, wenn man als einziges Familienmitglied überlebt.
Wir alle sind dazu aufgerufen, an die schrecklichen und menschen¬verachtenden Auswirkungen des Nationalsozialismus zu erinnern. Denn wenn wir uns mit diesem Teil der deutschen Geschichte auseinandersetzen, verstehen wir umso besser, wie wertvoll die Menschenrechte und unsere Demokratie sind – die es zu erhalten und zu schützen gilt. Wir wollen auch aus einem anderen Grund nicht bei dem Blick auf die Vergangenheit verharren: Heute gibt es auch in Bonn wieder eine jüdische Gemeinde – darüber freuen wir uns sehr. Liebe Frau Dr. Traub, liebe Mitglieder der Synagogengemeinde, ich möchte Ihnen gerade an einem solchen Tag die aufrichtige Solidarität der Stadt Bonn und ihrer Bürgerinnen und Bürger versichern. Vor diesem Hintergrund begrüße ich auch, dass die Bezirksvertretung Bonn in ihrer Sitzung vor zwei Tagen einstimmig einem Bürgerantrag zugestimmt hat, das „Erzberger Ufer“ künftig in „Moses-Hess-Ufer“ umzubenennen. Moses Hess wurde 1812 in Bonn geboren und wuchs in einer orthodoxen jüdischen Familie auf. Der Journalist und politische Schriftsteller hat sich später als Hauptvertreter des sog. philosophischen Sozialismus einen Namen gemacht. Mein besonderer Dank gilt den Organisationen, die an der Durchführung der heutigen Gedenkveranstaltung beteiligt sind, namentlich der Initiative zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, der Vorsitzenden der Synagogengemeinde, Frau Dr. Traub, den Mitgliedern des Schauspielensembles und der Oper Bonn, die auch diesen Abend mit einer szenischen Lesung bereichert haben, sowie Herrn Matthias Höhn für die musikalische Begleitung. Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat von Anne Frank:
- „Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube.“
BS“D
Der Pogrom des Jahres 1938 markierte einen Wendepunkt
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister der deutschen Alt –
Bundeshauptstadt Bonn !
Herzlichen Dank! Sie haben die Tatsachen beim Namen genannt. Vertrauen kann nur auf der Wahrheit basieren. Lüge sucht Missbrauch der Macht und verhindert Licht.
Als Kind bin ich von der Sowjet-Zone, die bereits DDR hieß, in die schon geteilte Alt – Reichshauptstadt gekommen, um dort im britischen Sektor das Gymnasium zu besuchen. Im Geschichtsunterricht wurde die „Kristallnacht“ auch zum Thema gemacht. Es herrschte jedoch Hilflosigkeit, statt hinter die Kulissen schauen zu können.
Später fand ich Aussagen darüber, wie die Nazis Meister waren im Verwischen ihrer Spuren. Da sie den Tod zu ihrem wichtigsten Werkzeug erkoren hatten, fanden sie auch nichts dabei, unschuldige Menschen, die zufällig Zeuge der Verbrechen wurden, oder sogar ihre eigenen Leute, die dokumentieren wollten, z.B. mit einer Kamera in der Hand, kurzer Hand durch Erschießen aus ihrem Weg zu räumen?
Die Aussicht von dem riesigen Trümmerhaufen aus, zu dem ganz Deutschland geworden war, hatte zuerst das Interesse geweckt aufzuräumen. Der Gedanke wieder aufzubauen war noch wie ein Traum.
In den 50-ziger Jahren konnte uns der Geschichtslehrer nur zitieren, was die Nazis, von denen Deutschland durch die Entnazifizierung distanziert worden war, der Öffentlichkeit vorgegaukelt hatten, z.B. den spontanen Ausbruch des Volkszorns. Man konnte komisch finden, was da alles geglaubt worden war, aber den Tatsachen auf den Grund zu gehen, schien unerreichbar.
Erst die 60-iger Jahre brachten der Welt mehr Blicke hinter die Kulissen, was besonders dem Staat Israel zu verdanken war, z.B. durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem.
„Im Gegensatz zur Darstellung der nationalsozialistisch gelenkten Presse handelte es sich bei der Zerstörung von Synagogen … nicht um spontane Aktionen der Bevölkerung, sondern um eine lange vorbereitete und reichsweit koordinierte Aktion.“ … „Der Pogrom des Jahres 1938 markierte einen Wendepunkt – von der Diskriminierung und systematischen Verfolgung hin zur Deportation und schließlich zur Ermordung von sechs Millionen Juden.“ Für diese Sätze möchte ich Ihnen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, meinen besonderen Dank aussprechen. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand diesen Punkt so prägnant ausspricht, der mir selbst schon lange Gewissheit ist. So fahren Sie auch fort, dieses von einem deutschen Staat organisierte und durchgeführte Verbrechen als Pogrom zu charakterisieren, zu dem es in meinem Duden heißt: „Durch Rassenhetze hervorgerufene gewalttätige Ausschreitungen gegen einen Bevölkerungsteil, z.B. gegen Juden“, mit dem Hinweis auf den russischen Ursprung des Wortes im Sinne von „Zerstörung“.
An dieser Stelle bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, mir zu erlauben und es keineswegs als Kritik anzusehen, diesen Wendepunkt von einem erweiterten Horizont aus zu betrachten.
Ich bezeichne entgegen den gewohnten Daten der Historiker nicht den 1. September 1939 sondern bereits diese Nacht vom 9. zum 10. November 1938 schlicht als den Ausbruch des 2. Weltkrieges. Dieser von den Nazis mit Kalkül erkorene Geburtstag des Judenfeindes Martin Luther war der Angriff auf Israel.
Mit Ihren von mir oben zitierten Worten – sechs Millionen – reichen Sie bereits weit über die Grenzen Deutschlands und sogar Europas hinaus. Mit den heute offenkundigen Tatsachen verglichen kann man eigentlich auch den ganzen 2. Weltkrieg schlicht als Krieg gegen Israel bezeichnen.
Historiker weisen auch darauf hin, wie unmilitärisch die Nazis gehandelt haben nach jedem Überfall auf jedes weitere Land, das sie zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen haben. Viel wichtiger als das Einrichten ihre militärischen Machtstrukturen war es ihnen, zuerst die Juden in Gettos zu deportieren.
Auch die Tatsache spricht ja für sich, dass die Nazis zuerst Polen überfielen, wo die Hälfte aller Juden Europas in einem Land lebte. Offensichtlich ist es auch kein Zufall gewesen, dass die Deutschen ein Afrika-Korps gebildet haben um die jüdische Heimat, das Land Israel, zu erreichen. Wozu mussten die Juden in Deutschland Wegweisern begegnen, die sie aufforderten nach „Palästina“ zu gehen? Was hatte man vor, mit ihnen hier zu machen?
Hätte man die Juden, die sich hier alle mit dem Pass des Britischen Mandats Palästina ebenso wie die Araber als Palästinenser ausweisen konnten, in Ruhe gelassen?
Damals waren die Engländer hier die Besatzungsmacht über Juden und Araber. Sie sind abgezogen. Heute werden die Juden UN-weit als Besatzungsmacht über die Araber verschrien. Dabei geht es nicht darum, ob Juden innerhalb der UN-sanktionierten Grenzen leben, sondern dass sie überhaupt leben. Wird da nicht eine religiöse Front sichtbar? Hat da der 2. Weltkrieg überhaupt schon aufgehört? War nicht eigentlich eine religiöse Front auch der Hintergrund des Angriffs an Luthers Geburtstag 1938?
Aus jüdischer Sicht könnte man die ganze Weltgeschichte als einen Krieg gegen Israel ansehen. Man würde sich auch nicht wundern miterleben zu müssen, wenn dem Abel die Schuld daran gegeben wird, dass sein Bruder Kain ihn erschlagen hat.
Schön ist es, dass Sie, Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, auch auf die Aufgabe hinweisen, historische Tatsachen davor zu retten, dem Vergessen zum Opfer zu fallen. Wie wichtig ist es doch, Dokumente von Gestern heute zum Gedenken zu haben. Wo ist aber das Bedenken für morgen die Konsequenz?
Ist es nicht nur erschreckend genug, dass die Öffnung der innerdeutschen Zonengrenze wieder lange vorbereitet wurde in Gesprächen zwischen beiden Seiten der Zonengrenze und darüber hinaus mit den beiderseitigen Besatzungsmächten und zwischen diesen untereinander und dabei der Zeitpunkt auffällig wieder auf die Nacht des Luther-Geburtstages gelegt wurde nach einer nicht nur reichsweiten sondern internationalen Koordination?
Hat die demokratische Vertuschung dessen, wenn zwar nicht als „Volkszorn“, doch als „spontanes“ Volksbegehren und Volksbewegung mit Ausgangspunkt in der Nikolaikirche in Leipzig deklariert wurde, und zum Gesetzesbeschluss des ersten gesamtdeutschen Bundestages führte, den Jahrestag der „Reichskristallnacht“ zum Freudenfest der deutschen Nation zu machen, nicht auffällige Züge, die an 1938 erinnern? Wo ist da die „Erinnerung“ geblieben? Ist da nicht ein Verdacht berechtigt, dass die Hintermänner von damals und die Hintermänner von heute sich sicher sind, auch noch die Hintermänner von morgen zu sein?
Ihnen fühle ich mich zu Dank verpflichtet, denn Sie haben Dinge in das richtige Licht gerückt. Sie sollen dafür immer gesegnet sein! Mit herzlichen Schalom-Grüßen aus Israel und allen guten Wünschen!
Ihr Jehonatan Kiebitz
Ehrlich gesagt hatte ich mir vor der Kristallnachtsrede des Herrn Bundespräsidenten Christian Wulff nicht vorstellen können, dass es jemals wieder einen Bundespräsidenten in Deutschland geben würde, der aus der Geschichte überhaupt gar nichts gelernt hat, als Sie, verehrter Herr Jehonatan Kiebitz, uns am 4. November in einem →Kommentar zur bevorstehenden Kristallnacht schrieben:
» Genauso wie die Nazis das Verbrechen an Luthers Geburtstag von langer Hand vorbereitet und organisiert hatten, wurde der Luther-Geburtstag durch das große C „auserwählt“, um die Berliner Mauer und die 550 km lange Grenze durch Deutschland zu öffnen, ohne dass es noch DDR-Grenzposten oder Splitterminen gab. «
Die Deutschen glauben dem großen C – allen voran der naiv tuende Bundespräsident – bis zum heutigen Tag, dass die nach 1984 im ehemaligen Todesstreifen verbliebenen Grenzsicherungsanlagen der DDR sich mit den Worten „sofort, unverzüglich“ von Günter Schabowski in Luft aufgelöst hätten. Wie christlich kirchlich unterminiert muss das Gewissen eines Menschen sein, dass er wieder an Märchen glaubt, solche z.B., dass sich solche bombastischen Grenzsicherungsanlagen in ein paar Wochen so einfach abbauen ließen, geschweige denn in ein paar Minuten, wie in jener Nacht der Maueröffnung?
Und ganz recht: hätte Ignaz Bubis es nicht verhindert, da wäre das von langer Hand vorbereitete und organisierte „Hineinfeiern“ in Luthers Geburtstagstag vom 9. auf den 10. November 1938 von christlich-demokratischen Politikern Deutschlands auch – wieder – zum deutschen Nationalfeiertag erkoren worden, lange geplant und organisiert! Ein satanischer Plan, denn kann man jemandem verübeln, sich zu freuen, nach 40-jähriger Trennung wieder vereint zu sein ? Da ist man doch geneigt an (christlich nationalsozialistische) Märchen zu glauben, dass sich martialische Grenzsicherungsanlagen der verniedlichend so genannten „innerdeutschen Grenze“ in Sekunden in Luft auflösen.
Zuvor, um an solche deutschen Ammenmärchen glauben zu können, muss sich allerdings jeder Anstand, jedes Gewissen und jeder Skrupel in Luft auflösen, quasi also „deutsch“ auflösen.
Der Herr Bundespräsident Christian Wulff (Zitat des Bundespräsidialamtes) in der am 9./10. November’38 niedergebrannten und jetzt, 2011, wieder eingeweihten Synagoge zu Speyer mit den Worten zum „Glück der Einheit“ stehend:
» Es ist wichtig und ein Anlass zu größter Freude, sich dies jedes Jahr ins Gedächtnis zu rufen. Die Deutsche Einheit war möglich, weil wir Deutsche aus unserer Geschichte gelernt haben. «
Auszug aus:
W I E D E R G U T M A C H U N G ?
von Jehonatan Kiebitz
. . .
Beleuchtete Marionetten
lässt die Rückschau auferste´n.
Nur die Drahtzieher selbst wetten :
“ Niemand kriegt uns je zu seh́n ! “
Schnell vergisst die Welt die Trauer
und fällt bald erneut d´rauf rein :
Hintermänner auf der Lauer
haben einen frommen Schein !
. . .
Die kompletten 40 Verse von »Jehonatan Kiebitz – Wiedergutmachung?«
hier als » PDF Download